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      **** Anmerkungen zur RSR ****
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- `leid tun' heißt jetzt `Leid tun' ... genau wie `(ein) Leid tun' :-(
   - dies ist nach etlichen Reform-Reformen aber wieder geändert
     worden (Stand 2006)

- `offengestanden' gibts nicht mehr :-(
  - solche Fälle sind nach etlichen Reform-Reformen doch wieder erlaubt
    (oder auch nicht) - es blickt niemand mehr wirklich durch, was das
    amtliche Regelwerk nun will. Es siegt letztlich der gesunde
    Menschenverstand und das Sprachgefühl. `offengestanden' gibt es
    in igerman98, wie auch in vielen Zeitungs-Schreibungen

- seelig/A  :-) ... sollte es nach aller (Un-)Logik der RSR eigentlich geben

- sogenannt/A  gibt's nicht mehr! :-(
  - dies ist nach etlichen Reform-Reformen aber wieder geändert worden

- dass es jetzt auch `Exponenzialfunktionen' gibt, ist ein Gerücht!

- `aufwändig' aber NICHT `aufwänden' (das soll das Wortstammprinzip sein!) 8-|

- `schrieen' und `spieen' sind im Reformduden nicht mehr verzeichnet, wohl
  aber noch `verschrie[e]n'; das ist derart inkonsistent, dass es nur ein
  Fehler sein kann! (in Aufl. 22 verbessert)

- bei `sei[e]st', `war[e]t', `wär[e]st', `wär[e]t' ist die Form mit `e'
  nicht mehr im Reform-Duden vermerkt. Der Duden ist aber seit der Ur-RSR
  nicht mehr maßgeblich. igerman98 kennt auch die Formen mit e

- Tolpatsch soll jetzt Tollpatsch geschrieben werden, obwohl Tolpatsch
  vom ungarischen "tolpash" (jmd. mit Fuß) abgeleitet ist. Wie viele Zeitungen
  wird von igerman98 die etymologisch korrekte Form weiterhin akzeptiert

- `desweiteren' schreibt sich nur noch "des Weiteren" &-|

- die integrierten (eindeutschenden) Formen von Butike, Kupee, Mohär, Sutane,
  Fassette, Kabrio, Krem/Kreme, Maffia, Maläse, Scharm (inkl. scharmant),
  Sketsch, transchieren, Katarr, Myrre, Schikoree, Schose wurden vom Rat für
  deutsche Rechtschreibung in 2010 wieder abgeschafft. Die meisten dieser
  Formen existierten von vor der RSR. Der Duden verliert in aktuellen
  Ausgaben über diese zuvor korrekten Wörter kein Wort mehr.


Der folgende Diskurs stammt aus Ralph Babels de.etc.sprache.deutsch FAQ:

    ** Warum »selbständig« und nicht »selbstständig«? **
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- »Weil `selbstständig' nicht im Duden steht (stand)!«

   Im Duden steht vieles nicht - kann ja auch gar nicht, denn die deutsche
Sprache ist bekanntlich ein offenes System, das beliebig viele Neubildungen
zulässt. Die Aufnahme eines Worts in eines der gängigen Wörterbücher mag ein
hinreichendes Kriterium für dessen »Existenz« - oder eher ein Hinweis auf
dessen Gebräuchlichkeit - sein, ist aber mitnichten notwendig.

- »Weil im Duden `selbständig' steht!«

   Die Existenz eines bedeutungsgleichen Worts war noch nie ein zwingendes
Argument gegen eine Neuschöpfung. Der Umfang vieler Synonymwörterbücher sollte
Beweis genug hierfür sein.

- »Wegen des doppelten `st'!«

   Das scheint bei »Selbststudium« - seit geraumer Zeit im Duden verzeichnet -
noch keinen gestört zu haben.

- »`selbständig' ist von `selber' abgeleitet!«

   Möglich. Und »selbstständig« eben von »selbst«.

   So flapsig, wie die letzte Antwort erscheinen mag, ist sie gar nicht -
wenngleich »selbständig« wohl eher von »selb« (siehe unten) denn von »selber«
abgeleitet wurde. Die Frage müsste eher lauten, _warum_ man das erstmals im 15.
Jahrhundert belegte Wort mit der Bedeutung »für sich bestehend« nicht von
»selbst« abgeleitet hat bzw. warum die von »selbst« abgeleitete Form heute
weniger gängig ist, denn wollte man _heutzutage_ ad hoc ein Wort beispielsweise
für »ohne fremde Hilfe stehend« bilden, so nähme man wahrscheinlich eher
»selbststehend« denn »selbstehend«.

   »selbst«, von mhd. »selb(e)s« mit unorganischem »t«, ist ein erstarrter
Genitiv Singular, »selber« ein erstarrter starker Nominativ Singular Maskulinum
zu »selb«. »selb«, verwandt mit engl. »self«, kommt heute fast nur noch vor in
»selbig«, »der-/die-/dasselbe« sowie getrennt bei vorangehender Präposition,
die mit einem Artikel verschmolzen ist (»zur selben Zeit« aus »zu derselben
Zeit«), oder mit Demonstrativpronomen. Formen wie »selbander« (zu zweit) und
»selbdritt« (»er kam selbdritt« = »selbst als Dritter« = »mit zwei anderen« =
»sie kamen zu dritt«) usw. sind veraltet.

   Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht ungewöhnlich, dass man sich in
älterer Sprache für Zusammensetzungen zunächst der Stammform »selb« bediente;
laut Grimm überwog »selbständig« zunächst deutlich. Erst später, nachdem
»selbst« über seine ursprünglichen grammatikalischen Grenzen hinaus zur
Normalform geworden war, begann man, davon abzuweichen. Heute ist einzig
»selbst« noch produktiv und »selbständig« das einzige noch gebräuchliche
»selb-«-Kompositum. Im Grimm selbst wurde noch 1900 »selbstständig« verteidigt.

   Mit den neuesten Ausgaben ihrer Wörterbücher haben indessen viele
Redaktionen auch dem Wort »selbstständig« ihren Segen gegeben - was nicht
heißen muss, dass es künftig weniger verpönt sein wird als bisher.  Hat uns die
angebliche _Rechtschreib_reform also ein neues _Wort_ beschert? - Das ginge
doch wohl weit über das Mandat der Reformer hinaus. Die Reform ändert nichts an
der Schreibweise dieser beiden Wörter: Man schreibt »selbständig« also auch
weiterhin »selbständig« und »selbstständig« wie bisher »selbstständig«, so wie
man - mit oder ohne Reform - »selber« »selber« und »selbst« »selbst« schreibt.
Wortwahl und Stil sind keine Angelegenheit der Rechtschreibung, und schon vor
der Reform war es legitim, »selbst« und »ständig« zu einem Wort
zusammenzufügen, das rein zufällig mit dem gebräuchlicheren Wort »selbständig«
bedeutungsgleich war und bei undeutlicher Aussprache mit diesem verwechselt
werden konnte. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um
zwei verschiedene Wörter mit ihrer jeweils eigenen Schreibweise handelt.

   Die _pragmatische_ Antwort auf die eingangs gestellte Frage muss also
lauten: »Weil man üblicherweise nicht den Eindruck erwecken will, des allgemein
akzeptierten Schrifthochdeutschen unkundig zu sein.« Zugegeben, das hat etwas
Lemminghaftes.